Sie sind nicht schuld
Ein Fachbeitrag von Dr. Sebastian Pleuse
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Liebe Eltern,
die Nachricht hat Sie vermutlich kalt erwischt. Eben war Ihr Kind noch gesund und die Welt in Ordnung, und auf einmal bricht alles zusammen. Ihr Kind hat „Rheuma“. Eine chronische Krankheit, irgendwas mit Schmerzen und krummen Fingern, wir kennen das aus der Werbung. Alte Menschen bekommen „Rheuma“. Aber Ihr Kind?
Aus heiterem Himmel ist Ihr Sohn oder Ihre Tochter plötzlich krank. Was bedeutet das für ihn oder sie? Welche Folgen hat es in der Schule, beim Sport, für die ganze Kindheit? Plötzlich sind da tausend Fragen: Wie bekommen wir das als Familie alles in den Griff? Ist unser Arzt wirklich der richtige für unser Kind? Können die Medikamente nicht auch Schaden anrichten, gibt es Alternativen?
Als wäre das nicht schlimm genug, taucht oft noch die Frage nach der Schuld auf. Hätten wir es verhindern können, dass unsere Tochter krank geworden ist? Hat falsche Ernährung etwas mit dem Rheuma unseres Sohnes zu tun, vielleicht sogar während der Schwangerschaft? Man liest und hört doch so viel!
Klare Antwort: NEIN. Sie sind nicht schuld. Sie können nichts dafür, dass Ihr Kind an Rheuma erkrankt ist. Sie hätten nichts daran ändern können. Überhaupt gar nichts. Es ist sehr wichtig, dass Sie sich das immer wieder bewusst machen. Dann können Sie als Familie beginnen, die vielen anderen Fragen zu beantworten.
Krankheit als Chance
Rheuma ist eine chronische Erkrankung, es geht also nicht einfach wieder vorbei. Die Krankheit wird Sie und Ihr Kind in den nächsten Jahren immer wieder beschäftigen. Verzweifeln Sie nicht und stecken Sie den Kopf nicht in den Sand, sondern wenden Sie sich der Krankheit zu und schöpfen Sie Ihre Möglichkeiten aus!
Tatsächlich ist Rheuma gut behandelbar und eines kann ich Ihnen versichern: je mehr Sie aktiv bei der Behandlung mithelfen, desto besser werden Sie die Erkrankung in den Griff bekommen. Hadern Sie nicht, sondern begreifen Sie das Rheuma als eine Chance, als Familie zu wachsen. Sie packen das.
Informationen helfen
Sie möchten natürlich nur das Beste für Ihr Kind. Damit Sie das erreichen können, müssen Sie informiert sein! Wenn Eltern, Kinder oder ganze Familien sich während einer Behandlung hilflos und unsicher fühlen, dann liegt das oft daran, dass sie die Dinge nicht richtig verstehen. Aus dieser Unsicherheit kann Angst entstehen, Angst vor Begriffen wie Krankenhaus, Untersuchung, Medikamente. Sie müssen diese Ängste ablegen und verstehen, dass diese Dinge gut für Sie sind. Rheuma im Kindesalter ist gut behandelbar! Angst ist ein negativer Stress, den Sie in dieser Situation überhaupt nicht gebrauchen können.
Also informieren Sie sich: Lassen Sie sich die Krankheit und die in Frage kommenden Therapien erklären. Wenn Sie etwas nicht richtig verstanden haben, dann fragen Sie nach. Seien Sie nicht schüchtern gegenüber den Menschen im weißen Kittel und vermitteln Sie das am besten auch direkt Ihrem Kind. Es gibt keine dummen Fragen - aber es ist sehr wichtig, dass Sie sich gut informiert fühlen und Ihrem Kind Sicherheit vermitteln können.
Natürlich müssen Sie und Ihr Kind sich bei Ihrem Arzt gut aufgehoben fühlen. Vertrauen und Verständnis sind die Basis für eine gute Behandlung und der beste Arzt kann nicht viel ausrichten, wenn das Verhältnis zum Patienten nicht stimmt. Also suchen Sie sich einen Arzt, dem Sie vertrauen! Dabei helfen Ihnen zum Beispiel die Empfehlungen von anderen Betroffenen - und die bekommt man einfacher als Sie jetzt denken. Wo? In den Selbsthilfegruppen!
Es gibt in Deutschland eine große Zahl von Selbsthilfegruppen für chronisch Erkrankte. In diesen Gruppen treffen Sie andere Menschen, die genau das Gleiche durchmachen oder durchgemacht haben, wie Sie - und dabei finden Sie immer ein offenes Ohr. Sie können Tipps für den Alltag bekommen und sich über verschiedene Kinder-Rheumatologen informieren. Auf Veranstaltungen lernen Sie andere betroffene Eltern und Kinder kennen. Das gibt Ihnen das gute Gefühl mit der Krankheit nicht allein zu sein.
Am besten gut vorbereitet
Wenn Sie gut informiert sind, können Sie die Initiative ergreifen. Planen Sie Ihr Leben mit der Krankheit! So werden Sie nicht vom Geschehen überrumpelt. Mit einer guten Organisation bekommen Sie alles besser in den Griff. Es lohnt sich, mit Freunden und Bekannten offen über Ihre Herausforderungen zu sprechen, denn je konkreter Ihre Bedürfnisse formuliert sind, desto besser kann Sie Ihr Netzwerk unterstützen.
Bei Ihrer Planung sollten Sie den Rückschlag mit einbeziehen. Rheuma verläuft in Schüben - und die können einen auch genau dann erwischen, wenn man sie am wenigsten braucht. In diesem Fall hilft ein Plan B - und das Wissen darum, dass es nach dem Schub wieder besser wird. Wenn Sie auf den nächsten Schub Ihres Kindes vorbereitet sind, können Sie im Ernstfall gelassen bleiben.
Die Säulen der Gesundheit
Wie gut es uns geht, hängt von drei Dingen ab, nämlich von richtiger Ernährung, ausreichend Bewegung und einer ausgeglichenen Psyche. Das gilt insbesondere für chronische Erkrankungen wie Rheuma.
Diese drei Dinge können wir bewusst beeinflussen und damit unsere Gesundheit aktiv verbessern. Das ist nicht immer leicht, aber es funktioniert!
Vor allem von der richtigen Ernährung kann die ganze Familie profitieren. Rheumapatienten wird empfohlen, viel Gemüse und wenig Fleisch zu essen. Einige Ernährungsspezialisten empfehlen speziell den Verzicht auf Schweinefleisch und raten außerdem zu wenig Zucker und wenig weißem Mehl. Man kann davon ausgehen, dass diese Ernährungsform für jeden Menschen äußerst gesund ist, nicht nur für Rheumatiker. Anfangs ist es ein bisschen kompliziert, weil auf ein paar Fertiggerichte verzichtet werden muss. Doch mit ein bisschen Routine geht es dann schon leichter von der Hand und die ganze Familie ernährt sich bewusst gesund.
Bewegung spielt eine ebenso große Rolle. Sie hilft dabei, betroffene Gelenke möglichst lange mobil halten und entsprechende Übungen sollten regelmäßig durchgeführt werden. Es gibt verschiedene Ansätze, die teilweise über die klassische Medizin hinausgehen. So gibt es beispielsweise die osteopathische Bewegungsunterstützung, die auch bei Kindern gut angewendet werden kann. Ein ganzheitlicher Ansatz ist bei chronischen Erkrankungen immer sinnvoll, aber nicht immer einfach. Nicht jeder klassische Arzt wird davon begeistert sein, doch viele Patienten berichten positiv. Seien Sie offen für Neues, auch hier können die Ratschläge aus Ihrer Selbsthilfegruppe Gold wert sein!
Bleibt noch die Psyche. Die Situation ist nicht leicht für Ihr Kind, das wissen Sie am besten. Es gibt nicht nur die körperlichen Herausforderungen, auch das soziale Leben kann schwierig sein und Ihr Kind aufgrund seiner Krankheit ausgegrenzt werden. Darum ist es wichtig, dass Sie Ihrem Kind Rückhalt geben und auch auf professionelle Hilfe zurückgreifen, um das Selbstbewusstsein zu stärken und das Miteinander zu verbessern. Je selbstverständlicher die Krankheit in den Alltag Ihres Kindes integriert wird, desto besser kann sich die kindliche Psyche an die Situation anpassen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute dabei, den richtigen Weg für sich und Ihr Kind zu finden. Die Deutsche Rheumaliga steht Ihnen dabei als starker Partner zur Seite.
Herzlichst,
Dr. Sebastian Pleuse
Dr. Sebastian Pleuse (*1971) ist Arzt und begeisterter Wassersportler. Einen Teil seines Studiums und Berufslebens verbrachte er in Sri Lanka. Sebastian Pleuse betreibt eine Agentur für Wissenschaftskommunikation und eine Firma für Nahrungsergänzung. Er engagiert sich in verschiedenen karitativen Projekten, arbeitete als medizinischer Berater für diverse Film- und Fernsehproduktionen und lehrte als Dozent am Chandrasevana Center in Sri Lanka.